Musik für die Augen
Tanz für die Ohren
Wenn man über Rhythmus nachdenkt, fällt einem neben der Musik sehr schnell der Tanz ein. Tänzer, und vor allem Tanzlehrer, sind Experten für Rhythmus. Natalie Westerdale betreibt in Wiesbaden eine Tanzschule nur für Stepptanz. Die leidenschaftliche Tänzerin und Pädagogin erzählt, wie sie selbst zum Tanzen kam, und was der Herzschlag mit ihrer Leidenschaft zu tun hat.
Du gehörst zu einer der Wenigen in Deutschland, die eine reine Stepptanzschule betreiben. Wie bist du zum Tanz bzw. Stepptanz gekommen?
Natalie Westerdale: Jane Fonda mit ihren Aerobic-Kursen hat mich mit 13 begeistert. Nach dem üblichen Standard-Tanzkurs habe ich dann Break Dance gemacht. Als diese Zeit endete, schlug mir mein Nachbar vor, bei ihm amerikanischen Stepptanz zu lernen – da war ich 16. Das war von Anfang an mein Ding. Ich bin morgens um 5 Uhr aufgestanden, um vor der Schule noch zu üben, und habe meine Eltern damit in den Wahnsinn getrieben (lacht). Irgendwann durfte ich selbst Kurse geben, und das habe ich zur Finanzierung meines Studiums einfach weiter gemacht. Der irische Stepptanz kam außerhalb Irlands erst Mitte der 90er Jahre so richtig ins Bewusstsein, mit der Show „Riverdance“. Damals reiste ich extra nach Amerika, um dort von den irischen Auswanderern diese Tanzform zu lernen. Dort gab und gibt es große Sommer-Workshops dafür. Erst viel später haben sich die Iren dafür geöffnet, Ausländer in ihre bis dahin eingeschworene Gemeinschaft zu lassen. Daraus entwickelte sich aber ein intensiver Kontakt, und ich bin 20 Jahre lang jedes Jahr mit Schülern zusammen nach Irland gereist, um an Sommer-Camps teilzunehmen.
Warum hast du dich für die Selbstständigkeit entschieden und eine Tanzschule eröffnet?
Natalie Westerdale: Eigentlich wollte ich nie eine eigene Tanzschule betreiben, das schien mir immer zu viel Aufwand, und für mich alleine auch zu teuer bzw. nicht rentabel. Dann traf ich meine heutige Partnerin Tanja, die bei mir ihre Ausbildung zum Dance Instructor (Tanzlehrer) machte. Die Chemie zwischen uns hat einfach gestimmt. Hinzu kam das Angebot einer Bekannten, ihr kleines Tanzstudio zu übernehmen, und da passte dann alles. 2005 haben wir eröffnet und mit 30 Schülern begonnen, die ich netterweise aus meinen bisherigen Kursen mitnehmen durfte. Das war damals sehr großzügig und hat dazu geführt, dass wir nie Verluste machen mussten.
Hast du Rhythmus im Blut?
Natalie Westerdale: Jeder hat einen Herzschlag, deshalb hat jeder Mensch Rhythmus im Blut!
Was bedeutet für dich als Tänzerin und Tanzlehrerin Rhythmus?
Natalie Westerdale: Rhythmus ist für mich ein menschliches Grundbedürfnis, bzw. ein Lebensbedürfnis. Viele Musikarten intonieren den Herzschlag, bzw. haben einen Puls: z. B. Folk Music, Pop, Jazz und Swing. Bei irischer Musik ist die Hornpipe ein klassisches Beispiel dafür. Der Rhythmus ist dem Herzschlag sehr ähnlich. Beim Tanzen können wir Rhythmus nicht nur selbst hören, sondern machen das für Zuschauer ebenfalls sichtbar.
Kommt es vor, dass Menschen ohne oder mit wenig Rhythmusgefühl zu dir kommen, und wie gehst du damit um?
Natalie Westerdale: Sehr selten. Meistens ist es kein Mangel an Rhythmus, sondern die Herausforderung, sich einerseits auf die Fußtechnik und andererseits auf die Schrittfolge und auf die Musik zu konzentrieren. Das kann man mit Übung aber lernen. Bis auf einen einzigen Menschen habe ich bisher alle zum Tanzen gebracht.
Was macht Stepptanz aus?
Natalie Westerdale: Für den Stepptanz gilt die Visualisierung der Musik in doppelter Hinsicht: er ist nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar und fühlbar. Nicht nur, wenn man selbst tanzt, spürt man es, auch beim Zuschauen spürt man die Vibration. Für mich persönlich drückt Stepptanz aus: ich lebe! Und das teile ich meinem Publikum gerne mit, bzw. gebe es durch meinen Unterricht an meine Schüler weiter.
Du bietest sowohl amerikanischen Stepptanz als auch irischen Stepptanz an. Was ist der Unterschied zwischen den beiden Tanzarten?
Natalie Westerdale: Es gibt mehrere Unterschiede. Zunächst mal das Schuhwerk: die irische Form kann entweder mit weichen Schuhen getanzt werden, sogenannten Softshoes, die ähnlich wie Ballettschuhe aussehen. Oder man tanzt die „laute“ Variante mit Hardshoes. Diese haben einen Absatz und eine Schuhspitze aus einem Glasfaser-Kunststoffgemisch. Der amerikanische Stepptanz wird immer „laut“ getanzt, unter den Schuhen befinden sich Metallplatten. Beim amerikanischen Stepptanz geht es insgesamt etwas lockerer zu. Der ganze Körper ist mit in Bewegung, Arme, Beine, Oberkörper, alles wird mit eingesetzt. Bei den Iren geht es traditionell sehr aufrecht zu – Oberkörper gerade, die Arme eng am Körper, der Daumen wird im Handteller versteckt, es sollen sich nur die Beine bewegen. Die Musik ist ebenfalls unterschiedlich – beim Amerikanischen geht es vor allem in Richtung Jazz und Swing, aber im Grunde kann und darf fast jede Musik vertanzt werden. Beim Irischen ist es klassischerweise die einheimische Folk Musik mit Fiddle, Knopfakkordion und Flöte. Aber auch das wandelt sich immer mehr und es gibt mittlerweile auch moderne Musikstücke, auf die getanzt wird.
Gibt es noch andere Stepptanzarten?
Natalie Westerdale: Außer den beiden oben genannten Formen gibt es noch viele weitere, sogenannte perkussive Tanzarten, die man auch bei mir lernen kann. Z. B. Appalachian Flatfooting und Cape Breton Stepdancing. Außerdem gibt es noch viele verwandte Arten, wie z. B. den Flamenco. Der Unterschied zum Flamenco ist, dass man dabei in den Boden hineinarbeitet, während der Amerikanische und der Irische Stepptanz vom Boden weg arbeiten. Vor allem beim Irischen wird viel gesprungen.
Welche Voraussetzungen sind notwendig?
Natalie Westerdale: Ab 4 Jahre ist genug Koordinations- und Konzentrationsfähigkeit vorhanden. Beim American Tap gibt es weiter keine Einschränkung, beim Irish Step Dancing sollte man körperlich gesunde Knie und Hüften haben, und sich darauf einstellen, dass die Hüpferei auf Dauer auch ganz schön anstrengend wird. Aber ansonsten gibt es keinerlei Beschränkungen. Man kann auch in jedem Alter starten. Und solange der Körper keine Einwände hat und man selbst Lust verspürt, ist Tanzen bis ins hohe Alter möglich – und es hält jung!
Welche Vorteile bringt das Tanzen?
Natalie Westerdale: Zunächst mal finde ich, dass jeder Mensch tanzen sollte. Es fördert den gesamten Körper, alle Bereiche, alle Sinne. Es schult Rhythmus, Motorik, unseren Intellekt und die Entscheidungsfindung. Tanz ist so unglaublich vielseitig, dass wirklich für jeden etwas dabei ist. Es gibt auch Sitztanz, Rollstuhltanz, Tanzen mit den Händen und, und, und. Außerdem ist Tanzen oft eine Gemeinschaftsaktion. Gruppentänze fördern die soziale Zufriedenheit, befriedigen das Bedürfnis nach Nähe und gemeinsamem Erleben. Sie sind auch vielfach kulturelles Erbe und verwurzeln uns in unserer Gemeinschaft. Durch Corona ist leider ein Teil davon kaputt gegangen. Auch leben wir im Moment in einer schwierigen Zeit. Wir müssen den Zusammenhalt ein Stück weit wieder lernen. Tanzen hilft dabei!
Kann man überall steppen?
Natalie Westerdale: sofern man berücksichtigt, dass die Umgebung es mitmacht – es ist halt mit Geräusch verbunden. Im Zweifel besser auf Socken tanzen. Wenn man in großen Gruppen im gleichen Takt steppt, dann löst das außerdem große Schwingungen aus. Das habe ich eindrucksvoll miterlebt, als ich bei dem Weltrekord „Longest Line of Riverdance“ in Dublin (Irland) mitgetanzt habe. Die Brücke, auf der zahlreiche Tänzer getanzt haben, musste danach erstmal gesperrt werden.1
Kann man auch mit den Händen steppen?
Natalie Westerdale: Ja! Um die Füße zu entlasten, gibt es eine Lerntechnik mit Händen, um die Schritte eines Tanzes nachzuahmen. Fast jeder irische Tänzer übt die Schritte auch mit den Händen. Meine Schüler in der Tanzlehrerausbildung lernen das auch, als Teil ihres Mentaltrainings und Merkhilfe für Schrittfolgen. Eine wahre Inspiration in dieser Hinsicht ist die Gruppe „up-and-over-it“, deren Videos man auf YouTube finden kann.2
Dein Mann ist Musiker (Übersetzer sowie Englisch- und Musiklehrer) und spielt in mehreren irischen Bands. Du selbst spielst ebenfalls mehrere Instrumente. Was bedeutet euch Musik in eurer Freizeit?
Natalie Westerdale: Wenn man sein Hobby zum Beruf macht, wird die Freizeitbeschäftigung schwammig. Wir müssen uns beide für unsere Berufe fit halten. Gleichzeitig lieben wir, was wir tun. Wenn man selbstständig ist, dann sind Freizeit und Beruf ebenfalls im fließenden Übergang. Ich habe nun mal keinen Job mit festen Arbeitszeiten, dafür hat meine Freizeit ebenfalls keine festen Zeiten. Es ist eben alles etwas flexibler.
Natalie Westerdale (geb. 1968)
Ihren persönlichen Tanzstil beschreibt sie mit den Worten: “See the music, hear the dance”3 ( zu deutsch: „Die Musik sehen, den Tanz hören“). In ihrer Tanzschule Fiddle & Feet School of Dancing finden auch regelmäßig irische Céilí Tanzabende statt. Gelegentlich werden die Partytänze von einer Live-Band mit Ehemann Ed Westerdale begleitet.
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