Naturwissenschaft für Patientenwohl
Der Apotheker bedient sich regelmäßig der Elemente der Naturwissenschaften, um mit Arzneien unterschiedlicher Art die Gesundung der Patienten in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt zu erzielen.
Das Studium der Pharmazie und eine Apothekerapprobation befähigen die Absolventen, sich als Apotheker z. B. in einer öffentlichen Apotheke, der Industrie, oder im Krankenhaus sehr differenziert mit dem gleichen Ziel zu beschäftigen.
Das Zentrum des jeweiligen Handelns ist das Patientenwohl. Einerseits steht die inhaltlich-wissenschaftlich orientierte Arbeit im Fokus, andererseits ist die individuelle, fachliche Beratung im Dialog mit den Patienten die Basis des beruflichen Tuns eines Apothekers. Dieses geschieht laut gesetzlich festgelegtem Auftrag zur ordnungsgemäßen Sicherstellung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Doch nicht nur die Versorgung mit Medikamenten muss gewährleistet werden. Höchste Priorität hat heute gerade die Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit zur Vermeidung von gravierenden Nebenwirkungen und Gesundheitsgefährdung der Patienten. Das war nicht immer der Fall. Skandale der Vergangenheit mit dramatischen Nebenwirkungen, z. B. von bestimmten Schlankheitspillen und einem Schlaf- oder Beruhigungsmittel, haben die Schwächen des damaligen deutschen Arzneimittelgesetzes von 1961 deutlich aufgezeigt. Eine neutrale und unabhängige Medikamentenprüfung war zu dem Zeitpunkt ebenso wenig etabliert wie eine Überwachung der Herstellung. Kritische Wissenschaftler setzten sich in der Folge nachdrücklich für Veränderungen ein, und 1978 trat ein grundlegend neu konzipiertes deutsches Arzneimittelgesetz in Kraft.1 Die geregelte Zulassung neuer Medikamente, das systematische Erfassen von Nebenwirkungen und deren Meldung wurden Pflicht.
Dem Allgemeinwohl verpflichtet
Deshalb ist es kein Wunder, dass ähnlich dem Hippokratischen Eid der Mediziner vor einigen Jahren von der internationalen pharmazeutischen Vereinigung (FIP) ein Apotheker-Eid entwickelt und veröffentlicht wurde, der noch stärker für die professionellen Verpflichtungen der Apotheker sensibilisieren soll. Es zeigt sich damit auch, dass hier ein großer Verantwortungsbereich für das Allgemeinwohl der Gesellschaft beschrieben wird und ganz unterschiedliche Interessen und Kompetenzen von den jeweiligen Akteuren gefragt sind. All diese Facetten des wissenschaftlichen Ansatzes verdeutlichen die Intensität und Detailtiefe des Studiums, das mit der Approbation nach dem 3. Staatsexamen abschließt.
An dieser Stelle lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen. Um den unterschiedlichen Aspekten des Berufsbildes bestmöglich gerecht zu werden, haben wir mit zwei erfahrenen Kollegen aus der Branche gesprochen. Ralf Rickert ist angestellter Apotheker in einem mittelständischen Pharmaunternehmen, Sabine Mergheim arbeitet als Apothekerin in einer großen öffentlichen Apotheke.
Beginnen wir doch ganz vorne: Wie kamen Sie auf die Idee, Pharmazie zu studieren?
R.Rickert: Entscheidender Aspekt war die Verbindung verschiedener naturwissenschaftlicher Disziplinen wie Chemie, Biologie, Physik etc. Chemie war schon in der Oberstufe mein Lieblingsfach und ist Schwerpunktbereich des Studiums. In einer Apotheke zu arbeiten war aber nicht mein Ziel, mich hat eher der wissenschaftliche Aspekt gelockt.
S. Mergheim: Auch mich hat die Verbindung der verschiedenen Naturwissenschaften mit der Medizin in diesem Studiengang fasziniert. Die spezielle Thematik der Arzneimittel und deren Wirkweisen zur Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten hat mich im Studium gereizt. Und im Rahmen der Praktika habe ich in einer Apotheke in Düsseldorf Einblick in die Möglichkeit der sehr persönlichen Patientenberatung bekommen. Das passte also.
In welchem Bereich arbeiten Sie und warum?
R. Rickert: Ich arbeite im Bereich der Arzneimittelzulassung in einem mittelständischen Pharmaunternehmen mit eigener Herstellung und eigenen Labors. Mein Schwerpunkt liegt im Bereich der behördlichen Zulassung von Arzneimitteln und verbindet die verschiedenen Aspekte wie Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit. Mit Fachleuten aus Herstellung, Qualitätskontrolle und Medizin arbeite ich eng zusammen. Diese Herausforderung fand und finde ich spannend.
S. Mergheim: Da mir die Kommunikation und der Umgang mit Menschen viel Spaß macht, arbeite ich in einer großen öffentlichen Apotheke im Team mit 45 Kolleginnen und Kollegen in Süddeutschland. Meine Praktikumserfahrung hat die Entscheidung bestärkt.
Der thematische und fachliche Verantwortungsbereich im Beruf ist sehr umfangreich. Wird man im Studium darauf vorbereitet?
R. Rickert/S. Mergheim: Die Themen sind entsprechend zusammengestellt. Pharmazeutische Chemie, pharmazeutische Biologie, Pflanzenkunde, Physiologie, Pharmakologie, Biochemie und seit Kurzem auch die klinische Pharmazie – ein Pflichtfach, das sich insbesondere mit der patientenorientierten Pharmazie zur optimierten Arzneimitteltherapie beschäftigt. Verschiedene Praktika in unterschiedlichen Arbeitsbereichen komplettieren das Studium. Das zeigt sicher schon den thematischen Umfang und die patientenorientierte Ausrichtung unseres Berufsbildes.
Wie profitiert der Patient von Ihrem Tätigkeitsbereich?
S. Mergheim: Die Apotheke ist viel mehr als eine reine Medikamenten-Ausgabestelle. Im Vordergrund steht eigentlich die fachliche, individuelle Beratung. Einerseits zu Arzneien bei akuten oder chronischen Erkrankungen, andererseits in speziellen Lebenslagen zu Nährstoffen, Vitaminen oder Impfungen. Wechselwirkungen, optimale Einnahmezeitpunkte, Nebenwirkungen und deren Bedeutung erklären wir gerne.
R. Rickert: Mein Tätigkeitsbereich wirkt sich eher indirekt aus, z. B. trage ich dazu bei, dass Medikamente am Markt bleiben oder verfügbar sind. Auch deren Entwicklung und Weiterentwicklung begleite ich, sodass sie gemäß den geltenden Vorschriften zugelassen werden können.
Was ist Ihnen an Ihrem Beruf wichtig?
S. Mergheim: Ein herzlicher Umgang und Gespräche auf Augenhöhe! Ich möchte im Besonderen einen positiven Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit leisten. Aktuell beschäftige ich mich mit der relativ neuen Medikationsanalyse für Patienten, die mehr als fünf rezeptpflichtige Arzneimittel gleichzeitig einnehmen müssen. Dabei handelt es sich um eine strukturierte Analyse der aktuellen Gesamtmedikation eines Patienten. Sie hat die Erhöhung der Effektivität der Arzneimitteltherapie und Minimierung von Arzneimittelrisiken zum Ziel. Der Patient erhält entsprechend Ratschläge und bei Bedarf Verbesserungsvorschläge für eine optimale Anwendung seiner Gesamtmedikation. Unter anderem das Auftreten von evtl. Wechselwirkungen untereinander und gerade auch mit vermeintlich „harmlosen“ anderen Produkten wird dabei intensiv geprüft und bei Bedarf in Abstimmung mit dem Arzt optimiert. Hierbei ist es tatsächlich auch von großer Wichtigkeit, alle anderen Produkte anzugeben, die der Patient für seine Gesundheit einnimmt. Also auch der „harmlose“ Johanniskraut-Tee aus der Drogerie oder das Magnesium-Sportprodukt aus dem Internet können mit den verordneten Medikamenten in Wechselwirkung stehen. Hierzu ist schon eine engagierte Informationssammlung durch den Apotheker wichtig. Es motiviert mich, mit Engagement die Zufriedenheit der Patienten zu verbessern.
R. Rickert: Die abwechslungsreiche Tätigkeit und die Möglichkeit, mein Know-how sinnvoll und zielführend einbringen zu können sind mir einerseits wichtig, andererseits die Zufriedenheit und nicht zuletzt die Sicherheit der Patienten. Herausfordernde Fragestellungen machen mir Spaß.
Die aktuell größten Herausforderungen für Sie?
S. Mergheim: Die erwähnten Lieferengpässe und außerdem wie in vielen anderen Bereichen auch der Fachkräftemangel.
R. Rickert: Genereller Preisdruck im Gesundheitssystem gepaart mit komplexeren, mitunter sehr formalistischen, Anforderungen.
Unser Thema lautet „Elemente“ – mit welchen Elementen beschäftigt sich der Pharmazeut?
R. Rickert: Chemische Elemente als Wirk- und Hilfsstoffe spielen naturgemäß eine große Rolle. Wie im menschlichen Körper sind es die Elemente Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff, die die größte Rolle spielen.
Nach wie vor werden Medikamente von Apothekern selbst hergestellt. Was ist dann zu beachten?
R. Rickert: Die Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln stellt (historisch gesehen) tatsächlich die Kernkompetenz des Apothekers dar. Strenge Regulatorien wie Gesetze, Verordnungen und Bestimmungen mit Gesetzescharakter müssen dabei unbedingt Beachtung finden. Gerade auch die europäischen Vorgaben wie z. B. das europäische Arzneibuch und Leitlinien zur sogenannten „Guten Herstellungspraxis“ sind grundlegende Elemente zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit und dienen somit unmittelbar dem Patientenwohl. Unabhängig davon, ob die Herstellung im kleinen Maßstab (z. B. eine Rezeptur auf ärztliche Verschreibung) oder im industriellen Großmaßstab erfolgt, greift eine strenge Regulierung durch Gesetze, Verordnungen und weitere Bestimmungen mit Gesetzescharakter. Alles zielt auf die ordnungsgemäße Qualität der Produkte bezüglich Hygiene im Herstellungsprozess, Reinheit der verwendeten Stoffe und ordnungsgemäße Dokumentation ab.
S. Mergheim: Aufgrund z. B. inadäquater Dosierung verfügbarer Fertigarzneimittel sowie gänzlich fehlender Präparate, stellen Apotheken weiterhin individuelle Arzneimittel wie Salben, Gele, Kapseln, Tropfen oder Mundspülungen her.
Aktuell sind Lieferengpässe bei Medikamenten, z. B. von Antibiotika, ein sehr präsentes Thema. Vor 120 Jahren trug Deutschland das Prädikat „Apotheke der Welt“. Das hat sich wohl verändert …
S. Mergheim: Ein zentrales Problem ist die mehrheitliche Verlagerung der Wirkstoffproduktion nach Fernost. Zum jetzigen Zeitpunkt existiert nur noch eine Fabrik mit komplettem Herstellungsprozess für Antibiotika in Europa.2 Um die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung zu gewährleisten, sind wir ständig zeitaufwendig bemüht, ausreichend Medikamente vorrätig zu haben. Dabei schauen wir nach möglichen Alternativen für nicht lieferbare Produkte – wie andere Dosierungen, alternative Packungsgrößen – oder importieren im Einzelfall ein Arzneimittel aus dem Ausland über spezielle importierende Apotheken, was strengen Vorschriften unterliegt.
Bekannt aus Radio und TV: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Was hat der Satz auf sich?
R. Rickert: Seit 1990 ist er aufgrund einer Änderung in der Arzneimittelgesetzgebung vorgeschrieben. Er wurde als Kompromiss etabliert, um das grundsätzliche Werbeverbot für rezeptfreie, apothekenpflichtige Arzneimittel in Radio, TV oder Printmedien abzuwehren. Seit 27.12.2023 existiert die gendergerechte Umformulierung.
Werden Sie auf Neben- und Wechselwirkungen oder Risiken angesprochen?
S. Mergheim: Wenn wir nicht gefragt werden, sprechen wir es gezielt an.
R. Rickert: Die Kernaufgaben des Apothekers sind in der Apothekenbetriebsordnung definiert und stellen ein weiteres Element seiner Kernkompetenzen dar: Beratung, notwendige Information z. B. zur sachgerechten Anwendung und Aufbewahrung sowie evtl. Neben- oder Wechselwirkungen.
Wie weit reicht die Beratungsmöglichkeit des Apothekers? Wo liegt die Grenze zum ärztlichen Rat?
R. Rickert: Die Apothekenbetriebsordnung sieht die Abgabe von Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten, die Information und Beratung über diese Produkte vor. In der Bundes-Apothekerordnung sind die pharmazeutischen Tätigkeiten folgendermaßen definiert: Die Beratung muss sicherstellen, dass die notwendigen Informationen bspw. über die sachgerechte Anwendung, evtl. Neben- oder Wechselwirkungen sowie zur sachgerechten Aufbewahrung des Arzneimittels übermittelt werden. Berufsrechtlich ist die Ausübung der sog. Heilkunde den Apothekern untersagt. Unter Heilkunde versteht man hierbei die berufs- oder gewerbsmäßige Ausführung von Tätigkeiten zur Feststellung, Heilung und Linderung von Krankheiten. Anamnese, Diagnose, Therapieauswahl, Aufklärung und Therapie sind damit Ärzten und Heilpraktikern vorbehalten. Im Apothekenalltag lassen sich die Grenzen nicht immer klar trennen, sondern verlaufen fließend. In der Arzneimittelberatung in der Apotheke wird sinnvollerweise die Eigendiagnose des Patienten hinterfragt, was zwangsläufig mit einer insoweit zulässigen Diagnosestellung einhergeht.
S. Mergheim: Wichtig ist mir deshalb eine gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Arzt und Apotheker zum Wohl des Patienten.
Funktioniert die moderne Medizin ohne den Apotheker?
R. Rickert: Ohne diese Kompetenz gäbe es weder Entwicklung, Weiterentwicklung noch hochwertige Qualität unserer Arzneimittel.
S. Mergheim: Der Apotheker vor Ort ist ein jederzeit gut erreichbarer Ansprechpartner in Sachen Gesundheit und Medizin und leistet einen großen Beitrag zur optimalen Versorgung der Menschen.
Sabine Mergheim und Ralf Rickert
Unsere beiden Interviewpartner kennen sich noch aus Studienzeiten und sind privat befreundet, auch wenn ihre beruflichen Wege sie in unterschiedliche Regionen Deutschlands versetzt haben.
Quellen
1 www.ndr.de/geschichte/chronologie/Nach-Menocil-und-Contergan-Der-lange-Weg-zum-Arzneimittelgesetz,pillen144.html, abgerufen am 09.10.2024
2 Abda.de, abgerufen am 09.10.2024