Geschichte der Uhrzeit
Rhythmus und Zeit sind eng miteinander verflochten
– als zwei untrennbare Elemente, die das menschliche Leben prägen. Rhythmus ist überall, angefangen bei den natürlichen Rhythmen wie Tageszeiten, Jahreszeiten oder Mondzyklen. Die Zeit ist ein schwer zu fassendes Element. Sie ist immer da, aber nicht wirklich greifbar. Seit jeher haben Menschen versucht, Zeit zu messen und zu verstehen. Wir begeben uns in diesem Artikel auf die Reise und erkunden die Geschichte der Zeit in Abhängigkeit vom Rhythmus des Lebens.
Die Uhr ist in unserer heutigen Zeit etwas Alltägliches. Sie ist unser Zeitmesser einerseits, ein Modeaccessoire andererseits. Immer wieder ist sie auch Statussymbol, sie ist Fluch und Segen in einem, aber sie bestimmt in vielerlei Hinsicht das menschliche Leben. Doch wie ist es dazu gekommen? Bis weit ins Mittelalter (500 – 1500 n. Chr.) hinein wurde die Zeit durch den Rhythmus der Natur bestimmt: von Sonnenaufgang bis -untergang, die Tage im Sommer waren länger, im Winter kürzer, und alles Weitere ergab sich aus der täglichen Arbeit, die für die meisten Menschen aus Landwirtschaft bestand. Um sich zu verabreden, nutzte man eher vage Zeitangaben wie „zum Hahnenschrei“ oder „zur Dämmerung“. Das „Tagewerk“ wurde durch das Vorhandensein des Tageslichts gesteuert.
Da die mittelalterliche Epoche vor allem vom christlichen Glauben der Menschen geprägt war, war auch die Zeit von Gott gegeben und wurde als unveränderbar hingenommen. Doch ausgerechnet in den Klöstern erkannte man die Notwendigkeit einer genaueren Zeiteinteilung. Um exakte Zeiten für Gebet und Arbeit zu haben, wurde der Tag zunächst pragmatisch in zwölf gleiche Teile geteilt, aber immer noch in Abhängigkeit vom Tageslicht.1 Um die Zeit zu messen, nutzte man Schatten, Wasseruhren oder einfache Instrumente wie Sanduhren. Doch die genaue Messung und Standardisierung der Zeit blieb eine Herausforderung.
Das Bewusstsein der Gesellschaft verändert sich
Der Weg zur exakten Stunde begann erst ab dem 14. Jahrhundert, als sich mechanische Uhr- und Schlagwerke von Italien aus in ganz Europa verbreiteten. Die Uhr entwickelte sich bereits jetzt zu einem Statussymbol. Jede Stadt, die etwas auf sich hielt, wollte eine Turmuhr haben. Im Jahr 1481 wurde im Stadtrat von Lyon eine Petition eingebracht, in der es heißt: „Es besteht ein starkes Bedürfnis nach einer großen Uhr. Wenn man eine öffentliche Uhr einrichtet, werden mehr Kaufleute zu den Messen kommen, die Bürger werden fröhlicher und zufriedener leben und ein geordneteres Leben führen, und die Stadt wird an Schönheit gewinnen.“1
Befeuert wurde der Siegeszug der Uhr durch die Zunahme von Handwerkern und Händlern im Hochmittelalter. Auf einmal gab es eine verbreitete Notwendigkeit der Zeitrechnung und der Einteilung des Tages in kleine Zeiteinheiten, um sich präziser verabreden zu können. Ab 1400 wurden erstmals gespannte Stahlfedern als Antrieb in den Uhrwerken eingesetzt, womit der Bau von transportablen und kleineren Uhren möglich wurde.1 Noch immer war die europäische Gesellschaft stark christlich orientiert, und die Zeitverschwendung entwickelte sich als neue Sünde. Bis zum Ende des Mittelalters wurde die Zeit weltlich, und jeder war für seinen eigenen Umgang mit der Zeit selbst verantwortlich.1
Sie interessieren sich für weitere Geschichten und wollen die gesamte Ausgabe der SCHON GEHÖRT? lesen?
Downloadlink Magazin 01/2024 Titel "Rhythmus"
Das industrielle Zeitalter taktet unser heutiges Leben ein
Endgültig vom Rhythmus der Natur löste sich die Zeitrechnung dann in den Fabriken des beginnenden industriellen Zeitalters im Laufe des 18. Jahrhunderts. Zeit wurde zum wirtschaftlichen Gut, das knapp, begrenzt und umkämpft war. Erst jetzt verbreiteten sich öffentliche Zeigeruhren mit Minuten- und Sekundenanzeige, mit denen sich die Zeit exakter unterteilen und berechnen ließ.2 Durch die fortschreitende technische Entwicklung wurde man zunehmend unabhängig vom Tageslicht. Der aus Deutschland stammende Uhrmacher Heinrich Göbel hatte bereits 1854 die erste gebrauchsfähige Glühlampe mit einer verkohlten Bambusfaser zum Leuchten gebracht. Leider vergaß er sie zu patentieren, weswegen im Allgemeinen der Amerikaner Thomas Edison als der Erfinder der Glühbirne gilt. 1879 meldete er seine Kohlefaden-Lampe zum Patent an und startete die industrielle Massenanfertigung.
Mit der Verbreitung der Glühbirne, der fortschreitenden Industrialisierung und der zunehmenden Einstellung, dass man „seine Zeit nutzen“ muss, wurde die Uhr zu einem immer wichtigeren Utensil. Und auch die Vereinheitlichung der Zeit über die Bundesgrenzen hinweg wurde zur Notwendigkeit. Eine verbindliche, im ganzen Land einheitliche Zeit gibt es in Deutschland seit 1893. Die Eisenbahn mit ihren minutengenauen Fahrplänen hatte diese Gleichtaktung des ganzen Reiches nötig gemacht.2 Vorreiter war allerdings die nordamerikanische Eisenbahngesellschaft gewesen, die bereits zehn Jahre früher vier Zeitzonen eingeführt hatte. Ein Jahr später wurde auf der internationalen Meridiankonferenz in Washington der Meridian von Greenwich als Nullmeridian festgelegt: 24 weltweite Zeitzonen orientierten sich ab sofort direkt oder indirekt an ihm. 1972 wurde dann die Weltzeit UTC (Coordinated Universal Time) eingeführt.4
Biorhythmus – unsere innere Uhr
Heutzutage würde sicherlich mancher gerne „das Rad zurückdrehen“ und lieber wieder im Einklang mit der Natur und ihren Zeiten leben. Tatsächlich tun wir das im gewissen Sinne auch immer noch: Unser ureigener Biorhythmus richtet sich nach wie vor am Sonnenlicht aus. Es ist der wichtigste äußere Taktgeber und stellt unsere Körper täglich neu auf 24 Stunden ein. Gleichzeitig haben alle Organismen ihr eigenes genetisch verankertes Zeitprogramm, das den Grundrhythmus vorgibt. Im Wechsel von Tag und Nacht steigt und sinkt die Körpertemperatur, verändert sich der Hormonspiegel im Blut, aber auch die Empfindlichkeit von Nerven.3 Unsere innere Uhr können wir weder hören noch sehen – aber sie tickt unablässig und hält sich nicht an die von unserer Gesellschaft vorgegebenen Zeiten. Sie verleiht den Menschen die Fähigkeit, regelmäßige Veränderungen in ihrer Umwelt vorherzusehen und rechtzeitig darauf zu reagieren. Das verschafft ihnen einen Überlebensvorteil. Und so überrascht es nicht, dass die Evolution eng mit der Entwicklung von biologischen Rhythmen verbunden ist.3
Mit der Industrialisierung und der Erfindung des künstlichen Lichtes verdoppelte sich plötzlich die nutzbare Zeit. Immer mehr Menschen begannen gegen ihren natürlichen Biorhythmus zu leben, obwohl der sich nicht so einfach verändern lässt. Dazu gab es unterschiedliche Untersuchungen, z. B. wurden Freiwillige über mehrere Wochen in einem unterirdischen Bunker in totaler Isolation untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die Probanden im Wesentlichen ihren ureigenen Biorhythmus beibehielten. Das heißt, obwohl natürliches Licht als Taktgeber für den Biorhythmus ausfiel, standen sie in etwa zu gleichen Uhrzeiten auf und legten sich auch zu entsprechenden Uhrzeiten wieder schlafen.3
Je länger wir gegen unseren natürlichen Biorhythmus leben, desto schlechter geht es uns. Doch auch wenn diese Erkenntnis längst im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist, ändert sich die Grundeinstellung dazu nur langsam. Immer noch gilt im Grunde die Zeitverschwendung als Sünde. Langschläfer gelten als faul, Frühaufsteher als fleißig. Unser gesamtes Gesellschaftssystem ist darauf ausgerichtet, die verfügbare Zeit zu nutzen. Dabei übersehen wir gerne geflissentlich, dass die „verfügbare Zeit“ nicht mehr so eng begrenzt ist wie im Mittelalter.
Sie interessieren sich für weitere Geschichten und wollen die gesamte Ausgabe der SCHON GEHÖRT? lesen?
Downloadlink Magazin 01/2024 Titel "Rhythmus"
Statt sich also auf die innere Uhr einzustellen, versucht der Mensch, sich die Rhythmen des Lebens zu eigen zu machen, sie zu visualisieren und zu messen. Ein EKG misst den Herzrhythmus, die Pulsuhr hilft uns, im Takt zu bleiben. Mit dem Einzug des Internets und der weiter fortschreitenden technischen Entwicklung der Computer hat unsere Armbanduhr ebenfalls eine Weiterentwicklung erfahren. Die Smartwatch macht seit den 1990er Jahren eine steile Karriere. Mittlerweile ist das Ablesen der Uhrzeit fast schon zweitrangig. Wichtiger sind andere Informationen über den eigenen Gesundheitszustand, eingehende Nachrichten oder die gemessene Schrittzahl. Der Rhythmus des Lebens, der Jahreszeiten und der Natur bleibt eine konstante Begleitung, die trotz der präzisen Zeitmessung durch Uhren nicht zu erfassen ist.
Die Geschichte der Uhr zeigt, wie der Mensch versucht hat bzw. immer noch versucht, den Rhythmus der Zeit zu kontrollieren. Vielleicht ist die Erkenntnis beruhigend, dass wir durch unsere biologische Beschaffenheit letztendlich immer noch im Fluss der Zeit und im Einklang mit der Natur leben. Rhythmus und Zeit sind somit nicht nur eine Geschichte der Mechanik und Technologie, sondern auch eine menschliche Reise, um die Zeit zu verstehen, zu messen und sich in ihr zu verorten – eine Reise, die weiterhin fasziniert.
Quellen:
1 https://www.spiegel.de/spiegelgeschichte/die-entdeckung-der-zeit-a-1015939.html,abgerufen am 06.12.2023
2 www.dhm.de/blog/2016/10/28/die-geschichte-der-uhrzeit/, abgerufen am 06.12.2023
3 https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/schlaf/zeitrhythmus_des_menschen/pwieinnereuhren100.html, abgerufen am 08.11.2023
4 www.sueddeutsche.de/panorama/zeitumstellung-wie-kam-die-zeit-in-die-welt-1.4053989, abgerufen am 07.12.2023