Gerüche befeuern das Gehirn
Synapsenfeuerwerk aus Emotion und Erinnerung
Uwe Manasse ist ausgebildeter, handwerklicher Parfümeur. Diese Ausbildung war der Abschluss einer längeren Berufsreise, die ihn vom Delikatessenhändler über Heilpraktiker und Homöopath bis hin zum Parfümeur führte. Kein Wunder, dass sich sein berufliches Angebot von der Kreation eines eigenen Parfüms, über Vorträge und Workshops, bis hin zu therapeutischen Konzepten rund um das Thema Duft erstreckt. Im Interview verrät er, wie man zum Parfümeur des Lebens wird, was das Gehirn beim Riechen leistet und was ein Duftanker ist.
Der Roman „das Parfüm“ erzählt von einer Person, die einen phänomenalen Geruchssinn besitzt, aber ohne jeden Eigengeruch auf die Welt gekommen ist. Ist Ihnen jemals ein Mensch begegnet, der keinen Eigengeruch hatte?
Uwe Manasse: Nein, so jemanden gibt es in Wirklichkeit nicht. Grenouille ist ein Monstrum, weil ihm etwas fehlt. So wie Frankensteins Monster (dem literarischen) oder Dracula etwas Großes, Bewegendes wie Nähe oder Liebe fehlen, so fehlt Grenouille einfach „nur“ der eigene Geruch. Das macht dieses Buch genial. Zum einen, weil es so einfach ist. Zum anderen, weil es unmöglich ist.
Der eigene Geruch ist Vielen aber nicht genug. Warum möchten Menschen besonders oder lieber anders riechen?
Uwe Manasse: Einerseits wegen der Moderation von Situationen. Wir haben in der sog. westlichen Welt fast keine Rituale mehr. Früher roch ein Frühlingskränze-Binden anders als das Herrichten des Erntedank-Altars für den Dreifaltigen oder die Fruchtbarkeitsgöttin. Das ist uns verloren gegangen. Doch wenn sich z. B. der Großvater sein Rasierwasser auf die Haut reibt, ist das neben Pflege auch ein Ritual: Der Tag fängt an. Man parfümiert sich vielleicht anders, wenn man zur Arbeit geht oder zum Flirten. Das sind uralte Mechanismen.
Andererseits geht es um die Attraktion. Die eine trägt ihr Businessparfüm auf, um kompetent zu Erscheinen, der andere seinen Sportduft, um am Samstag in der Bar für sportlich gehalten zu werden.
Was bedeuten Ihnen Düfte?
Uwe Manasse: Sie helfen mir, mich zu orientieren. Wenn man lange genug übt, kann man Emotionen ebenso „riechen“ wie mannigfaltige Zu- und Umstände. Dann nutzt man die Nase bewusst im Alltag, um tragfähigere Dialoge zu führen oder um schon beim Betreten eines Restaurants zu erkennen, ob dort gut gekocht wird. Ich bin ein Parfümeur des Lebens.
Was meinen Sie damit?
Uwe Manasse: Jeder kann seine Nase trainieren, das ist ganz einfach. Ein praktisches Beispiel für den Alltag: Alte Kaffeereste in einem Kaffeevollautomaten haben einen bestimmten Geruch. Wenn man diesen bewusst lernt, also formulieren lernt, wie das riecht (die Hauptarbeit in den Parfümeur Ausbildung) merkt man, wann die Maschine wieder gereinigt werden muss. Und dann schmeckt der Kaffee in der Konsequenz besser. Ebenso riecht das tatsächlich kranke Kind anders als jenes, welches sich nur um eine Klausur in der Schule drücken möchte. Man kann lernen, das Wetter zu riechen, die Stimmungen seiner Lieben, den Fitnesszustand des Sportpartners oder ob die Kartoffeln gar sind.
Der Prozess ist immer der gleiche: man übt das Formulieren der Gerüche, die man lernen und erkennen möchte. Dann wird die Welt um uns unendlich groß. Warum denke ich an Frühling, wenn ich vor die Tür gehe? Weil die Magnolie beim Nachbarn angefangen hat zu blühen. Warum fühle ich mich wie zuhause in einem gar nicht mal so schön eingerichteten Restaurant? Weil die Rouladen dort so gemacht werden, wie damals bei den Eltern. Zumeist sind es eigene Emotionen, die man beschreibt, wenn die Nase spricht. Der Impuls, uns z. B. emotionell anzupassen oder eine Rückmeldung vom Gegenüber zu verlangen, hat öfter als wir es glauben mit Gerüchen zu tun. Denn wir sind nun mal Säugetiere, die aufs Rudel angewiesen wären, wenn wir nicht in Häusern leben würden. Wir kommunizieren unfassbar viel über Gerüche im Atem oder den Schweißdrüsen, ohne es zu merken. Und das Riechen ist der einzige Kanal in der zwischenmenschlichen Kommunikation, den man nicht betrügen kann. Denn Drüsen lügen nie. Egal wie viele Führungs-, Verhaltens- oder Sprechtrainings man besucht hat, gibt der aktuelle Geruch eines Menschen stets das Wichtigste preis: Wie es ihm/ihr tatsächlich geht.
Kleine Details, wie den Zustand der Kaffeemaschine zu erahnen, machen einfach Spaß und steigern im besten Fall die Lebensqualität. Das geniale bei diesen Übungen aber ist, dass Hirnareale verknüpft werden, die dazu führen, dass wir emotionell eloquenter werden. Also: Riechen lernen lohnt sich!
Unser Gehirn leistet also auch beim Geruchssinn unglaubliches. Es betrügt sogar unsere Nase, wenn wir uns Gerüche einbilden, die faktisch nicht da sein können. Umgekehrt ist das doch auch eine Chance für Menschen, die schlechter, oder nichts mehr riechen – können wir uns da nicht auch Bilder in den Kopf zaubern, die unserer „Gehirn-Nase“ einen Geruch vorgeben?
Uwe Manasse: Eine wunderschöne Idee. Wenn man den vorhin beschriebenen Prozess umkehrt, aus emotionalen Geruchseindrücken Worte zu machen. Also aus einem Bild in der Vorstellung einen Geruch zu machen. Das könnte sogar ein Therapieansatz sein. Denn die Schnittmenge zwischen Anosmie und Schwermut ist sehr groß. Ich selbst konnte nach einer Operation nicht riechen. Wo ich konnte, setzte ich die Fantasie ein. Ich fragte mich „wie schmeckt dieses Rührei-Brötchen. Wie duften diese Remoulade und die Gurken.“ Und dann waren diese Eindrücke da. Allerdings hat diese Methode auch Grenzen, denn wenn es um objektives Riechen geht, funktionierte es nicht.
Das Leben riecht nicht immer gut. Spiegelt sich das auch in Ihren Parfüms wider? Oder in den Wünschen Ihrer Kunden?
Uwe Manasse: Es gibt durchaus zynische Parfümeure, Parfümeusen und Parfüms. Doch diese sind zum Glück selten und sie haben einen sehr kleinen Kundenkreis. Das Leben ist schon kompliziert genug. Parfüm darf Wonne sein. Meine Auftraggebenden sind Menschen, die Träume oder schöne Orte/ Situationen oder Konstrukte darstellen möchten. Parfüm traut sich auch oft den Superlativ. Invictus, Eternity, Royal usw. Die Liebe Gottes modelliere ich dieser Tage zum Beispiel zum dritten Mal. Der erste Auftrag war von einem yogabegeisterten Textilhersteller hinduistisch gefärbt: Aham Prema. Die weiteren Male für eine christliche Sängerin, die ihre frohen, kraftgebenden Konzerte und Lesungen den Menschen in Form von Duft mit nachhause geben möchte.
In einem Podcast haben Sie mal gesagt, dass die Nase nie direkt denkt. Sie sagt uns auf Umwegen, was wir da riechen, und deshalb müssen wir über den Geruch erstmal nachdenken, um ihn zu verstehen. Bedeutet das, dass wir gar nicht in der Lage sind, ohne unser Gehirn zu riechen?
Uwe Manasse: Genau. Denn wenn man bewusst riecht, ist richtig viel los zwischen den Ohren. Aber auch unbewusst arbeitet unser Gehirn permanent im Hintergrund. Düfte sind fast immer auch mit Emotionen oder Erinnerungen verknüpft. Weil eben dieser Duft ein Duft-Anker ist. Und deshalb beeinflussen uns Düfte auch so, weil ein wahres Synapsenfeuerwerk in unserem Kopf lodert, wenn wir etwas riechen.
Was genau sind Duftanker?
Uwe Manasse: Duftanker sind schöne und kraftvolle Erinnerungen, die man in einem Duft speichert. Das nutzen wir (und andere, denn wir haben uns dies nicht als einzige ausgedacht) auch therapeutisch. Traktorendiesel wird z. B. in ländlichen Gebieten oft für männliche Seniorenheim-Bewohner als Duftanker genutzt. Denn seinen Traktor volltanken bedeutet, produktiv sein zu können für Land und Leute. Es bedeutet, ein im dörflichen Rahmen mächtiger Mann zu sein, der für andere da ist, der andere versorgt und ihnen hilft. Es bedeutet, die Kinder und Enkel mit ein bisschen Fahrtraining zu bespaßen, und zur Kirmes das Orchester durch die Stadt zu ziehen. All das hat ein ehrwürdiger Senior mit rauen Händen, der jetzt nur noch „Bewohner“ ist, in diesem „Duft“ gespeichert, ohne es zu wissen. Dieser Duft ist bis weit in die Demenz hinein ein einmaliges Therapeutikum.
Mithilfe von Duftankern vermitteln wir in Seniorenheimen, wie Menschen leichter pflegbar werden und in Hospizen habe ich schon ein paar Menschen schmunzelnd sterben sehen, weil sie noch einmal das Schönste, Frivolste oder Heiligste ihres Lebens vor Augen hatten, durch die Nase. Wir arbeiten mit Schmerz- und Angsttherapeuten, mit Wirtschafts- und Sporttrainern und vielen anderen, die beim Erreichen von „Zielen“ helfen.
Können Düfte auf der Haut oder für die Atmung auch schädlich sein?
Uwe Manasse: Sehr sogar. Parfüm ist auch hier so ähnlich wie viele andere Kunstformen. Weniger ist mehr, auch bei Parfüm.
In der Aktuellen Ausgabe der Schon gehört „Elemente“ finden Sie weitere Antworten aus diesem Interview. Darin erzählt Uwe Manasse, worauf es ihm bei der Duftherstellung ankommt und wie uns Düfte emotional beeinflussen.
Hier geht es zur Ausgabe 02_2024 „Elemente“
Infokasten:
Uwe Manasse ist Parfümproduzent, spricht als Duftexperte auf Events und bietet gemeinsam mit unterschiedlichen Teams Teambuildings, Therapiekonzepte oder Workshops in mehreren Städten. In diesen erfährt man wissenswertes über Parfüm und kann u. a. spielerisch selbst Parfüm komponieren.
Webseite: https://manasse.de
YouTube: https://www.youtube.com/@parfumeurmanasse